Ruth Moschner

Ruth Moschner Porträt
Copyright: Bernd Jaworek

Ruth Moschner hat sich freundlicherweise am 04.08.2022 zu ihren Berührungspunkten mit dem Thema Behinderung wie folgt geäußert:

• Haben Sie bei Ihrer Arbeit oder auch im Privatleben persönlich Erfahrung mit Behinderung oder behinderten Menschen gemacht? Hat dies Ihre innere Haltung zu diesem Thema beeinflusst?

Ich hatte bereits als Kind das Glück im Kindergarten, auf Festen und in der Schule Kontakt zu Kindern mit Behinderungen zu haben und daher gibt es keine Berührungsängste. Zum einen schätze ich, dass Kinder weniger urteilen, zum anderen habe ich selbst die ersten beiden Jahre viel im Krankenhaus verbringen müssen, um eine eventuelle Behinderung zu vermeiden. Das habe ich zwar nicht bewusst erlebt, aber durch die Erzählungen vielleicht mehr Respekt.

• Gibt es für Sie eine Geschichte oder Anekdote – lustig, nachdenklich stimmend oder auch tragisch – die Sie uns in diesem Zusammenhang mitteilen möchten?

Auf einer Party habe ich als Kind ein blindes Mädchen kennengelernt. Unsere Erzieherin hat sie mir an die Hand gegeben, weil sie scheinbar dachte, „bei Ruth ist sie gut aufgehoben“. Ich bin dann mit ihr die komplette Räumlichkeit abgelaufen und habe ihr alles haargenau beschrieben. Im Nachhinein denke ich, dass ich der Armen eine völlige „Reizüberflutung“ beschert habe und sie sich mit Sicherheit kaum was merken konnte.

Ich muss da heute noch drüber schmunzeln, ein paar Eckdaten, wo die wichtigsten Dinge sind, wären sicher hilfreicher gewesen. Andererseits haben wir sicher ein niedliches Bild abgegeben, zwei kleine Mädchen, Hand in Hand und die eine quatscht der anderen ein Ohr ab. Ich schätze, wir haben beide daraus gelernt, das blinde Mädchen noch genauer zu erfragen, was nötig ist, und das Sehende, also ich, besser nachzufragen und zuzuhören. 😊

• Vertreten Sie, eventuell durch eigene Erfahrungen ausgelöst, bestimmte Ansichten zum Umgang mit dem Thema ‚Behinderung’ in der Öffentlichkeit, zur Sozialpolitik, zur Rolle der Medizin oder des Gesundheitswesens?

Ich habe mir letztes Jahr bei einem Sturz die rechte Hand gebrochen, diese Umstellung und Sichtbarkeit von Blockaden war enorm. Auf andere angewiesen zu sein, war für mich die größte Herausforderung. Daher ist eine transparente Kommunikation extrem wichtig. Barrierefreiheit bei Gehbehinderungen essentiell. Gerade komme ich aus London, hier ist das Problem sogar noch größer durch das sehr veraltete öffentliche U-Bahnsystem. Viele Stationen sind für Rollstuhlfahrer:innen nicht erreichbar. Ich weiß auch, dass, gerade was die Kostenübernahme gewisser  Hilfsmittel unfassbar wenig abdeckt.

Im Bereich Prothesen zum Beispiel, aber auch Angleichungen der Wohnungen an die jeweilige Behinderung, hier könnte man doch inzwischen wesentlich bessere Wege anbieten. Und ja, natürlich weiß ich, dass nicht jeder Mensch mit Handicap herausragend sein kann, aber Übertragungen der Paralympics, und dazugehörige Sportler:innenportraits finde ich immer wahnsinnig inspirierend und daher ist eine höhere Sichtbarkeit in den Medien essentiell. Die Teilnahme von Leistungssportler Mathias Mester nach Schauspieler Benjamin Piwko bei der RTL-Show „Let‘s dance“ baut Barrieren auf beiden Seiten ab.

Bei Masked Singer hat unser Team die Herausforderungen angenommen, um die Teilnahme von Schauspieler Samuel Koch und danach Sängerin Joana Zimmer möglich zu machen. Wie wäre es also jetzt mal mit einer Nachrichtensprecherin im Rollstuhl? Wir brauchen starke Persönlichkeiten, die unsere vielleicht manchmal „dummen“ Fragen ertragen, aber damit einfach Grenzen und Hemmschwellen niederreißen können.

Wie spreche ich mit jemandem, der/die wesentlich kleiner ist als ich, beuge ich mich runter, gehe ich in die Knie, welche Fragen sind tabu, zum Beispiel die nach dem… Sie wissen, welche ich meine… fragen sich sicher viele, aber NATÜRLICH fragt man das nicht zwischen Tür und Angel und vor allem nicht direkt… und sicherlich ist es auch hier, wie in anderen Bereichen immer auch der individuelle Spielraum, der eine Rolle spielt. Den finden wir aber nur dann heraus, wenn wir miteinander sprechen und nicht übereinander.

• Setzen Sie sich für soziale Projekte ein, vielleicht sogar im Bereich Behindertenförderung? Haben Sie konkrete Vorstellungen, wo besonderer Handlungsbedarf besteht und worin Lösungsmöglichkeiten bestehen könnten?

Ich habe auf Instagram eine tolle Follower:innenschaft und nutze natürlich gerne die Schwarmintelligenz. Zum Beispiel habe ich für Gehörlose einen Begriff verwendet, der inzwischen längst einfach abgeschafft sein sollte. Eigentlich wollte ich erfragen, was man tut, wenn man mit Schutzmaske zu den Leuten spricht, die von den Lippen ablesen müssen. Und so haben mich einige darauf aufmerksam gemacht, dass es „Gehörlos“ heißt, und nicht so, wie ich es eben bezeichnet habe. Wieder was gelernt. Dieser Austausch ist so wertvoll und mit der Öffentlichkeit geteilt, erfahren es umso mehr.

Denn, natürlich können wir nicht alles wissen, wer die eigenen Fehler registriert, reflektiert und etwas verändert, entwickelt sich weiter. Aber wir dürfen natürlich auch nicht vergessen, dass es auch unter Menschen mit Behinderungen unterschiedliche Charaktere gibt. Engel sind nicht alle. Ich hatte zum Beispiel einen Zeitraum lang mit Online-Stalking zu kämpfen. Der Stalker mit eindeutig geistiger Behinderung beschimpfte zuerst meine Follower:innen, dann mich öffentlich als Kinderhasserin, weil ich keine eigenen hätte und sobald ich ihn blockierte, ploppte ein neuer Account auf.

Viele rieten mir zur Anzeige, gerade auch Leute aus dem Fachbereich Betreuung empfahlen das dringend, um auch ihm Grenzen aufzuzeigen. Ich habe jedoch darauf verzichtet.  Irgendwie hat es sich nicht richtig angefühlt. Aber vielleicht war es ein Fehler. Ich bin da bis heute unsicher, denn natürlich ist eine Behinderung kein Freibrief, andererseits konnte er meinen Ruf dadurch nicht ruinieren. 😉

• Können Sie sich in die Lage Betroffener hineinversetzen? Würden Sie, wären Sie selbst betroffen, trotz der körperlichen Einschränkungen versuchen, im Rahmen des Möglichen Ihre bisherige(künstlerische) Arbeit fortzusetzen?

Ich denke nicht, dass ich es nachvollziehen kann. Ich habe einmal aus Neugierde eines dieser Dunkelrestaurants besucht, hier sieht man absolut gar nichts, nicht mal die Hand vor Augen. Das war eine sehr krasse Erfahrung, die mich aber auch an meine Grenzen gebracht hat. Dennoch ist es sicher nicht vergleichbar, da ich ja wusste, wenn ich wieder vor die Türe gehe, sehe ich wieder Farben und Konturen.

Ich denke, es ist auch nochmal ein Unterschied, mit Handicap auf die Welt zu kommen, oder durch einen Unfall eine starke körperliche Veränderung zu haben. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht nur physisch, sondern auch mental eine Riesenherausforderung ist. Natürlich ist es völlig albern, das Leben durchzuplanen, es kommt eh immer anders, abhängig von den Impulsen. Kristina Vogel ist seit ihrem Radsportunfall politisch aktiv und motiviert und inspiriert vielleicht sogar mehr Menschen als zuvor. Daher meine Antwort auf Ihre Frage: keinen  blassen Schimmer.

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