Simone Fischer

Simone Fischer Porträt
Copyright: Axel Dressel

Simone Fischer, Beauftragte der Landesregierung Baden-Württemberg für die Belange von Menschen mit Behinderungen hat sich freundlicherweise am 01.09.2022 zu ihren Berührungspunkten mit dem Thema Behinderung wie folgt geäußert:

• Haben Sie bei Ihrer Arbeit oder auch im Privatleben persönlich Erfahrung mit Behinderung oder behinderten Menschen gemacht? Hat dies Ihre innere Haltung zu diesem Thema beeinflusst?

Seit Oktober 2021 habe ich die Funktion als Beauftragte der Landesregierung Baden-Württemberg für die Belange von Menschen mit Behinderungen übernommen. Ich bin kleinwüchsig und erlebe selbst viele Barrieren und Behinderungen. Ich selbst habe von Beginn an die Kita und Schule am Ort besucht, studiert und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gearbeitet. Dadurch habe ich erlebt, dass es vermeintlich Unmögliches möglich ist und wir Chancen brauchen, um überall teilhaben zu können. Wir brauchen dazu lediglich echte Verbündete und das jeweils individuelle Maß an Barrierefreiheit. Meine eigenen Erfahrungen haben mich motiviert, mich für eine gerechte und inklusive Gesellschaft einzusetzen.

• Gibt es für Sie eine Geschichte oder Anekdote – lustig, nachdenklich stimmend oder auch tragisch – die Sie uns in diesem Zusammenhang mitteilen möchten?

Ich wurde in den 80er Jahren eingeschult. Das Staatliche Schulamt und das Gesundheitsamt haben entschieden, dass ich in die Sonderschule, 90 km von meinen Eltern und Freunden entfernt, gehen soll. Meine Eltern und der Rektor der Grundschule haben sich dafür eingesetzt, dass ich die Schule am Wohnort besuchen kann. Ich hatte das Glück, diese Verbündeten an meiner Seite zu haben.

Vielleicht war das eine entscheidende Weichenstellung in meinem Leben, in einer Phase, in der ich noch auf die Kraft, das Wissen, das Geschick und den Mut anderer angewiesen war. Eins ist klar: Es darf keine Glücksache sein, welche Chancen, Möglichkeiten und Zugänge man erhält. Jeder Mensch hat das Recht auf Inklusion überall.

• Vertreten Sie, eventuell durch eigene Erfahrungen ausgelöst, bestimmte Ansichten zum Umgang mit dem Thema ‚Behinderung’ in der Öffentlichkeit, zur Sozialpolitik, zur Rolle der Medizin oder des Gesundheitswesens?

Inklusion heißt für mich, dass alle Menschen dieselben Chancen, Rechte und Pflichten in unserer Gesellschaft haben. Sie müssen an allem teilhaben, Teil sein und sich beteiligen können, wenn sie das möchten. Inklusion ist kein Akt der Barmherzigkeit, Inklusion ist ein nicht verhandelbares Menschenrecht. Unser Grundgesetz ist für mich nach wie vor eine der wichtigsten und besten Errungenschaften. Inklusion beinhaltet alle Facetten davon. Sie überträgt die Inhalte des Grundgesetztes ins Leben und in unseren Alltag.

Wir alle sind dazu aufgerufen, dies vor Ort in unserer Familien, in der Nachbarschaft, in der Schule, bei der Arbeit und Freizeit mit Leben zu füllen. Wir brauchen eine in jeder Hinsicht barrierefreie und inklusive Gesellschaft. Der Begriff Behinderung ist leider immer noch viel zu oft als Stigma konnotiert. Auch im medizinischen Bereich müssen wir uns dafür stark machen, dass klar ist: Behinderung bedeutet nicht Krankheit.

• Setzen Sie sich für soziale Projekte ein, vielleicht sogar im Bereich Behindertenförderung? Haben Sie konkrete Vorstellungen, wo besonderer Handlungsbedarf besteht und worin Lösungsmöglichkeiten bestehen könnten?

Als Beauftragte der Landeregierung habe ich auch eine Ombudsfunktion, die stark in Anspruch genommen wird. Zahlreiche Menschen mit Behinderungen wenden sich mit unterschiedlichen Problemen an mich, wenn sie benachteiligt werden. Nach wie vor erleben behinderte Menschen zu viele Barrieren. Ihnen wird zu viel zugemutet, um echte Teilhabe leben zu können. Immer noch brauchen wir mehr Wahlmöglichkeiten und echte Chancen – zum Beispiel beim Wohnen, bei der Arbeit, in der Freizeit.

Insbesondere Menschen, die in besonderen Wohnformen leben oder in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten, haben kaum Alternativen, um selbstbestimmt und zeitgemäß ihren Alltag gestalten zu können. Sie können weder (mit-) bestimmen, wer ihre Assistenz und Pflege übernimmt, noch mit wem sie in einer WG zusammenleben. Auch Freizeitmöglichkeiten sind stark begrenzt. Ich setze mich auf unterschiedlichsten Wegen ein, um dafür eine Öffentlichkeit zu schaffen und Verbesserungen zu erreichen. Ich vertrete diese Perspektive bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes, bei weiteren Gremien und Vorhaben im auf Landesebene.

Derzeit arbeitet das Land an der Fortschreibung des Aktionsplanes zur Umsetzung der UN-BRK in Baden-Württemberg. Ich sorge dafür, dass die direkte Perspektive der Menschen mit Behinderung eine zentrale Rolle spielt und sie sich selbst beteiligen können. Bei Gesetzesvorhaben und –änderungen des Landes nehme ich Stellung und bringe die Belange behinderter Menschen ein. Politik und Gesetzgebung müssen einen Rahmen vorgeben, wir brauchen allerdings offene Herzen und zupackende Hände, vor allem Verbündete – auch ohne Behinderungen – die das im Alltag mit uns gemeinsam mit Leben füllen.

• Können Sie sich in die Lage Betroffener hineinversetzen? Würden Sie, wären Sie selbst betroffen, trotz der körperlichen Einschränkungen versuchen, im Rahmen des Möglichen Ihre bisherige (künstlerische) Arbeit fortzusetzen?

Durch meine eigene Behinderung, meine Persönlichkeit, die beruflichen und persönlichen Erfahrungen kann ich mich gut in die Situation von Menschen, die behindert werden, hineinversetzen. Ich kann zum einen nachvollziehen, was es bedeutet, ständig Barrieren zu erleben, wie viel Kraft und Nerven das kostet. Zum anderen weiß ich aber auch, was wir alles erreichen können. Wir brauchen Vorbilder, die das sichtbar machen und zeigen, was alles möglich ist. „Beteiligung schafft Gesellschaft. Einfach Inklusion.“ – so lautet das Motto meiner Amtszeit.

Wenn wir Inklusion erreichen wollen, ist es notwendig, dass wir von Beginn an in alle Gremien und Prozesse auf Augenhöhe einbezogen sind. Behinderte Menschen müssen ausreichend empowered sein oder Assistenz haben, um für sich selbst eintreten zu können. Ausschlaggebend und zentral ist die Repräsentanz von Menschen mit Behinderungen. Wir brauchen einen gesicherten Platz, um entscheidende und verantwortungsvolle Rollen zu besetzen – überall.

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