Rika Esser

Rika Esser Porträt
Copyright HMSI

Rika Esser, Beauftragte der Hessischen Landesregierung für die Menschen mit Behinderungen hat sich freundlicherweise am 18.01.2023 zu ihren Berührungspunkten mit dem Thema Behinderung wie folgt geäußert:

Zur Person: Rika Esser, geboren 1971, ist seit März 2020 die Beauftragte der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen. Frau Esser ist von Geburt an kleinwüchsig und Nutzerin eines Elektrorollstuhls.

• Haben Sie bei Ihrer Arbeit oder auch im Privatleben persönlich Erfahrung mit Behinderung oder behinderten Menschen gemacht? Hat dies Ihre innere Haltung zu diesem Thema beeinflusst?

Ich bin schon als Kind mit anderen Menschen mit Behinderungen aufgewachsen und damit in Berührung gekommen. Das Thema hat mich ein Leben lang begleitet, in allen Lebensabschnitten:

Nach einigen Hürden konnte ich als Kind sogar in den 1970er Jahren einen Regelkindergarten und eine reguläre Grundschule besuchen. Hier waren auch andere Kinder mit Behinderungen – wenn auch wenige – dabei. Hätten sich meine Eltern nicht erfolgreich für den Wechsel aus einem Sonderkindergarten eingesetzt, wäre ich vermutlich auch in die Sonderschule gekommen. Es bedurfte eines besonderen Engagements, sich gegen Ausgrenzung zu wehren.

Im Studium habe ich Kontakt zur AG behinderter Studierender bekommen. Hier habe ich eine Menge gelernt darüber, wie man barrierefrei arbeitet, um Menschen mit verschiedensten Behinderungen einzubeziehen. Viele Dinge, die ich latent gedacht habe, wurden bestätigt und haben für mich eine politische Form angenommen: wie bspw. die Frage, ob ich nun durch meine Behinderung oder nicht viel mehr durch die unpassende Umwelt behindert werde. Im besten Sinne wurde das Private also politisch!

Durch meine Auslandsaufenthalte in den USA, Japan, und später auch in einigen Entwicklungsländern Asiens und Afrikas habe ich meine Perspektive erweitert. Vieles, was für uns in Deutschland selbstverständlich ist, ist eine enorme Errungenschaft, die ich gelernt habe, wert zu schätzen, wie bspw. die Möglichkeit der 24-Stunden-Assistenz. Andererseits kann man sich aus dem Ausland auch positiv inspirieren lassen: beeindruckt hat mich bspw. in Australien, dass man an jedem Flughafen ein Taxi mit Rampe ohne umständliche Vorbestellung rufen, und so problemlos mehrere Rollis mit viel Gepäck von A nach B befördern kann.

Meine innere Haltung wurde dahingehend beeinflusst, dass ich aus eigener Anschauung um die vielen Hürden, seien sie baulicher, kommunikativer oder einstellungsbedingter Art – weiß, die Menschen mit Behinderungen von einer vollen Teilhabe abhalten können. Aber ich habe auch erfahren, dass es möglich ist, sich durchzusetzen und seine Ziele zu erreichen, selbst wenn es manchmal Umwege erfordert.

Mir ist bewusst, dass ich in privilegierten Verhältnissen aufgewachsen bin und fühle mich daher verpflichtet, ein Stück davon „zurück zu geben“, indem ich mich für bessere strukturelle Bedingungen für Menschen mit Behinderungen einsetze.

• Gibt es für Sie eine Geschichte oder Anekdote – lustig, nachdenklich stimmend oder auch tragisch – die Sie uns in diesem Zusammenhang mitteilen möchten?

Ich habe als Studentin einmal einen älteren Herrn über die Mitfahrzentrale im Auto mitgenommen. Im Gespräch erzählte ich ihm, dass ich mich derzeit mit einer Hausarbeit beschäftige. Er fragte mich daraufhin, ob ich „kleinere Handarbeiten“ erledigen würde. Natürlich ging es in meinem Fall um eine wissenschaftliche Arbeit für die Universität …. Die Anekdote zeigt mir, dass man als Mensch mit Behinderung oft von seiner Umwelt unterschätzt wird. Die gute Nachricht ist, dass der Überraschungseffekt dann auf der eigenen Seite ist!

• Vertreten Sie, eventuell durch eigene Erfahrungen ausgelöst, bestimmte Ansichten zum Umgang mit dem Thema ‚Behinderung’ in der Öffentlichkeit, zur Sozialpolitik, zur Rolle der Medizin oder des Gesundheitswesens?

Für mich gehören Menschen mit Behinderungen in die Mitte der Gesellschaft. Es ist wichtig, sich an den Fähigkeiten der Menschen zu orientieren, statt auf die Defizite zu fokussieren.

Die Sozialpolitik, Medizin, und das Gesundheitswesen spielen eine wichtige Rolle, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, da sie oft Grundlage für unsere Befähigung und Teilhabe sind – ohne angepassten Rollstuhl bspw. kann eine querschnittsgelähmte Person sich kaum fortbewegen. Gleichzeitig schlagen einem gerade im medizinischen Bereich antiquierte Haltungen entgegen. Dies mag auch daran liegen, dass es nur wenige behinderte Menschen gibt, die in diesen Bereichen arbeiten.

• Setzen Sie sich für soziale Projekte ein, vielleicht sogar im Bereich Behindertenförderung? Haben Sie konkrete Vorstellungen, wo besonderer Handlungsbedarf besteht und worin Lösungsmöglichkeiten bestehen könnten?

Im weiteren Sinne ist der Integrationsfonds der Hessischen Landesverwaltung ein „soziales Projekt“, das von mir gemeinsam mit dem Innenministerium verantwortet wird. Über den Fonds werden Beschäftigungsverhältnisse für Menschen mit Behinderungen in der Hessischen Landesverwaltung gefördert. Der Fonds ist ein Instrument, das dazu beiträgt, dass die Beschäftigungsquote in der Landesverwaltung noch recht gut ist und im Jahr 2020 bei 6,76 % lag. Da die Quote leider schon seit Jahren im Sinken begriffen ist, kommen Fördermöglichkeiten eine besondere Bedeutung zu.

Ich wehre mich allerdings etwas gegen die in der Frage implizite Annahme, dass Projekte, die auf Menschen mit Behinderungen abzielen, notwendigerweise „sozial“ sein müssen. Meiner Auffassung nach ist das Thema ein Querschnittsthema, d.h. es berührt (fast) alle Politik- und Lebensbereiche. Bei Projekten und Förderungen halte ich eine zweigleisige Herangehensweise für sinnvoll: das bedeutet, dass behinderte Menschen sowohl in allgemeinen Programmen, z.B. Arbeitsmarktprogrammen, gefördert werden sollen, als auch durch spezifische Angebote, wie bspw. die Unterstützung durch die Integrationsfachdienste, die sich auf diese Personengruppe spezialisiert haben.

Zeen is a next generation WordPress theme. It’s powerful, beautifully designed and comes with everything you need to engage your visitors and increase conversions.

Top 3 Stories