Tetje Mierendorf

Tetje Mierendorf Porträt
Copyright: Tanja Hall

Tetje Mierendorf, hat sich freundlicherweise am 14.03.2023 zu seinen Berührungspunkten mit dem Thema Behinderung wie folgt geäußert:

• Haben Sie bei Ihrer Arbeit oder auch im Privatleben persönlich Erfahrung mit Behinderung oder behinderten Menschen gemacht? Hat dies Ihre innere Haltung zu diesem Thema beeinflusst?

Ich muss wirklich nachdenken, aber gestehen, dass ich oftmals Menschen mit Behinderung als solche gar nicht wahrgenommen habe, ausgehend von der Frage nach der Definition von „Behinderung“. Behinderung ist ja weiter gefasst als die Einschränkungen, die etwa offensichtlich sind, wie körperliche Einschränkungen, die die Benutzung z.B. eines Rollstuhls erforderlich machen.

Wenn man von der Definition ausgeht, die einen Menschen dazu berechtigen, einen Schwerbehindertenausweis zu führen, kenne ich sicherlich einige. Und es gab auch Menschen in meinem näheren Umfeld, die auf den Rollstuhl angewiesen waren. Ich kann aber nicht sagen, dass mich das beeinflusst oder verändert hat, da ich immer einen Blick dafür hatte, Menschen aufgrund von Einschränkungen nicht von Dingen auszuschließen oder Zugang zu Alltäglichem zu erschweren. Wir müssen alle links und rechts gucken, welche Auswirkungen unser Handeln auf andere hat. Dazu zählt eben auch, dass ich Derjenige bin, der regelmäßig Ärger mit Menschen hat, die „mal eben kurz“ auf extra ausgewiesenen Parkplätzen stehen.

• Gibt es für Sie eine Geschichte oder Anekdote – lustig, nachdenklich stimmend oder auch tragisch – die Sie uns in diesem Zusammenhang mitteilen möchten?

Wo wir schon von Parkplätzen reden: Ich habe mich mal wieder mit einer Frau angelegt, die sich auf einen Parkplatz stellte, der einen Nachweis erforderlich machte. Sie war allein und legte diesen Nachweis hinter die Windschutzscheibe und sagte, dass habe schon seine Richtigkeit. Dann nahm sie ihre Leergutkisten und ging in den Supermarkt und erledigte ihre Einkäufe. Alle anderen (schmaleren) Parkplätze waren frei. Sie hat sich nur dort hingestellt, weil sie es gemäß Ausweis konnte. Ich sagte zu ihr, dass dies die Idee dieser besonderen Parkplätze doch ad absurdum führe und sie doch sicherlich nachvollziehen könne, dass Menschen, die tatsächlich situativ auf diese Plätze angewiesen sind, dies zu schätzen wüssten, wenn sie entsprechend frei sind. Sie ließ mich dann einfach stehen.

Was geistige Behinderungen angeht, kann ich als Schauspieler auf der Bühne sagen, dass ich mich immer freue, wenn Menschen mit geistigen Einschränkungen in der Vorstellung sind, weil diese ein dankbares Publikum sind, das seinen Emotionen ungefiltert freien Lauf lässt. Das geht mir immer sehr ans Herz.

• Vertreten Sie, eventuell durch eigene Erfahrungen ausgelöst, bestimmte Ansichten zum Umgang mit dem Thema ‚Behinderung’ in der Öffentlichkeit, zur Sozialpolitik, zur Rolle der Medizin oder des Gesundheitswesens?

Ich bekomme in meinem Umfeld mit, dass Menschen um einfache Hilfsmittel anwaltlich oder gerichtlich gegen ihre Krankenkasse vorgehen müssen, um einfach am täglichen Leben teilhaben oder sich ganz simpel versorgen zu können. Das macht mich oft fassungslos. Als hätten behinderte Menschen und ihre Angehörigen nicht schon genug Schwierigkeiten, ihren Alltag zu bewältigen. Dann müssen sie sich auch mit juristischem Kram auseinandersetzen. Ich dachte, 2023 wären wir weiter …

• Setzen Sie sich für soziale Projekte ein, vielleicht sogar im Bereich Behindertenförderung? Haben Sie konkrete Vorstellungen, wo besonderer Handlungsbedarf besteht und worin Lösungsmöglichkeiten bestehen könnten?

Es ist mir unbegreiflich, für welche Selbstverständlichkeiten noch immer gekämpft werden muss. Infrastruktur ist das Wichtigste, was ein Staat für seine Bürger gewährleisten muss – und zwar für alle. Der Ausbau des behindertenfreundlichen Zugangs zum ÖPNV ist ein sichtbarer Anfang, aber eben nur ein Anfang. Mir stellen sich bei dem Wort „Integration“ immer ein wenig die Nackenhaare auf, weil es nicht nötig sein darf, Menschen mit Behinderung zu „integrieren“, weil sie selbstverständlich wie Menschen mit Haarausfall, Diabetes oder Leute ohne Führerschein Teil eines Ganzen sind und kein Problem, das man lösen muss!

Es geht nicht darum, als Nichtbehinderter Opfer zu bringen, damit behinderte Personen „integriert“ werden können – es geht ganz schlicht um nötige Infrastruktur. Behindertengerechte Zugänge zu allem sind genauso essentiell wie Straßen, Schulen, Kitas etc. Ich war als Ambassador tätig für „Make a wish“ e.V., die Kindern mit lebensbedrohlichen Krankheiten Wünsche erfüllt. Wo akuter Handlungsbedarf besteht, ist für mich als Nichtbehinderter natürlich oft nicht zu ermitteln, das müssen die Betroffenen selbst formulieren und entsprechend an einen Beauftragten übermitteln können. Gibt es so etwas? Eine Art „Infrastrukturlotse“?

• Können Sie sich in die Lage Betroffener hineinversetzen? Würden Sie, wären Sie selbst betroffen, trotz der körperlichen Einschränkungen versuchen, im Rahmen des Möglichen Ihre bisherige (künstlerische) Arbeit fortzusetzen?

Ich habe zu Probezwecken schon einige Male im Rollstuhl gesessen (für die Rocky Horror Show) und dort nur einen Tag versucht, alles mit Rollstuhl zu erledigen. Für einen Ungeübten unmöglich. Und ich musste nicht mal große Erledigungen machen.

Natürlich mache ich mir als meistens freiberuflicher Künstler permanent Gedanken darüber, was wäre, wenn ich aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht mehr so arbeiten könnte, wie ich es jetzt tue. Je nach Behinderung gäbe es noch verschiedene Tätigkeitsfelder, in denen ich noch immer aktiv sein könnte. Ob dies allerdings reicht, meine Familie zu ernähren, ist zumindest fraglich.

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