Gisa Flake, geboren 1985 in Braunschweig, ist in einem Theater aufgewachsen und singt seit sie klein ist. Sie studierte Schauspiel in München, gewann 2009 den Bundeswettbewerb für Gesang und 2019 den Schauspielpreis und ist seitdem vor der Kamera und auf der Bühne aktiv. Gisa Flake hat sich freundlicherweise am 05.09.2022 zu ihren Berührungspunkten mit dem Thema Behinderung wie folgt geäußert:
• Haben Sie bei Ihrer Arbeit oder auch im Privatleben persönlich Erfahrung mit Behinderung oder behinderten Menschen gemacht? Hat dies Ihre innere Haltung zu diesem Thema beeinflusst?
In meiner Arbeit als Filmschauspielerin gab es bisher nur wenige direkte Begegnungen, was ich sehr schade finde. Sichtbarkeit für marginalisierte Gruppen halte ich für unerlässlich, wenn es um die Zukunft von interessanten und aktuellen Produktionen geht. Dadurch, dass so oft alte Stereotype erzählt werden und die “Andersartigkeit” von Menschen meist problembehaftet thematisiert wird, entgehen uns unglaublich viele tolle und spannende Geschichten, die berühren und begeistern!
Auf der Bühne versuche ich jede*n Zuschauer*in zu inkludieren, in dem ich vor der Vorstellung schaue, dass die Rollstuhlplätze eben nicht am Rand gequetscht mit halber Sicht platziert sind oder in dem ich im Kabarett sehr auf meine Formulierungen achte. Es gibt zu viele ableistische Formulierungen, die im Sprachgebrauch einfach so mitlaufen. Da bin ich sicherlich nicht perfekt drin, aber ich versuche, daran aktiv zu arbeiten.
• Gibt es für Sie eine Geschichte oder Anekdote – lustig, nachdenklich stimmend oder auch tragisch – die Sie uns in diesem Zusammenhang mitteilen möchten?
Ich stand vor ein paar Jahren auf der Bühne mit einem Soloprogramm und in der ersten Hälfte haben ganz hinten im Saal durchgehend zwei Frauen geschnattert. Ich bin fast wahnsinnig geworden! In der Pause hab ich dann mal den Techniker, der in der Nähe saß, gefragt, wer das sei und er erklärte mir, dass die beiden Frauen wohl eine Seh- und Höreinschränkung hätten und sich mein Programm quasi gegenseitig “übersetzt” hätten. Ich bin zu den ihnen hin, hab mit ihnen geplaudert und dank dem tollen Veranstalter konnte ich noch zwei Stühle direkt vor die Bühne stellen, wo sie glücklich die zweite Hälfte verfolgt haben.
Ich bin im Nachhinein immer noch froh, mit den Frauen direkt geredet zu haben, anstatt “über sie”. So hatten wir alle einen tollen Abend.
• Vertreten Sie, eventuell durch eigene Erfahrungen ausgelöst, bestimmte Ansichten zum Umgang mit dem Thema ‚Behinderung’ in der Öffentlichkeit, zur Sozialpolitik, zur Rolle der Medizin oder des Gesundheitswesens?
Ich habe mich immer darüber geärgert, dass die Gesellschaft eine unrealistische Norm (jung, dünn, gesund, reich…) ansetzt, und jede Abweichung davon, ist ein “Problem”. Wir nehmen uns damit so viel an Erfahrungen, an Lebensfreude und an Menschlichkeit!
Wie es während meiner Schulzeit, auch von den Lehrkräften, vorher kritisiert wurde, dass wir 2 Schüler*innen bekamen, die spezielle Hilfe benötigten! Dabei war es eine rundherum positive Erfahrung für alle.
Und aktuell kann ich es nicht fassen, dass so viele Menschen nicht begreifen, dass wir die Corona-Maßnahmen auch deshalb ernst nehmen müssen, um vulnerable Gruppen zu schützen und ihnen eine Teilhabe am öffentlichen Leben nicht zu nehmen.
Diese seltsame Diskussion über “wen schützen wir überhaupt und warum” erschreckt mich.
• Setzen Sie sich für soziale Projekte ein, vielleicht sogar im Bereich Behindertenförderung? Haben Sie konkrete Vorstellungen, wo besonderer Handlungsbedarf besteht und worin Lösungsmöglichkeiten bestehen könnten?
Ich versuche, projektbezogen zu unterstützen, indem ich Veranstaltungen gagenfrei moderiere oder Kolleg*innen vermittle.
Einer der sichtbarsten Missstände liegt für mich in der Städteplanung. Barrierefreie, verkehrsberuhigte, zugängliche Städte müssen mehr Berücksichtigung finden. Und da kann man sich, in vielen Städten, auch online informieren, was geplant ist und bei Bedarf sich dagegen aussprechen.
• Können Sie sich in die Lage Betroffener hineinversetzen? Würden Sie, wären Sie selbst betroffen, trotz der körperlichen Einschränkungen versuchen, im Rahmen des Möglichen Ihre bisherige (künstlerische) Arbeit fortzusetzen?
Auch wenn ich mich als Schauspielerin sehr mit dem Hineinversetzen auseinandersetze, fände ich es anmaßend, zu behaupten, das alles nachfühlen zu können. Dafür ist auch jede Einschränkung zu individuell.
Aber meine Hoffnung ist natürlich, dass ich genauso weiter arbeiten könnte, wie ich es jetzt kann. Ob nun schreibend, singend, spielend oder tanzend: Es gibt in der Kunst viele Möglichkeiten, sich auszudrücken!