Holger Kiesel

Holger Kiesel Porträt
Copyright: Frank Lübke

Holger Kiesel, Beauftragter der Bayrischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung hat sich freundlicherweise am 01.06.2023 zu seinen Berührungspunkten mit dem Thema Behinderung wie folgt geäußert:

• Haben Sie bei Ihrer Arbeit oder auch im Privatleben persönlich Erfahrung mit Behinderung oder behinderten Menschen gemacht? Hat dies Ihre innere Haltung zu diesem Thema beeinflusst?

Aufgrund meiner eigenen Behinderung habe ich bereits meine ersten Schuljahre auf einer – wie es damals noch hieß – „Sonderschule“ für Menschen mit Körperbehinderung verbracht, bevor ich später auf ein Regelgymnasium gewechselt bin. So habe ich schon am Anfang meiner Schulzeit verschiedenste Lebensentwürfe mit Einschränkung kennengelernt – und auch für mein eigenes Leben viel gelernt. Später habe ich auch gemeinsam mit anderen Menschen mit Behinderung studiert, mit einigen beim Radio zusammengearbeitet oder auch über sie berichtet. Daraus sind auch immer wieder Freundschaften entstanden. Die Beispiele anderer haben mich oft zusätzlich ermutigt, die Chancen und Möglichkeiten entschlossen zu ergreifen, die sich mir selbst geboten haben.

Das war es dann auch immer, was ich an andere weitegeben wollte – egal in welcher Rolle: Möglichkeiten aufzeigen und positive Geschichten von Menschen mit Behinderung erzählen! Und heute in meiner Tätigkeit als Beauftragter spielen Menschen mit Behinderung ja ohnehin DIE zentrale Rolle.

• Gibt es für Sie eine Geschichte oder Anekdote – lustig, nachdenklich stimmend oder auch tragisch – die Sie uns in diesem Zusammenhang mitteilen möchten?

Ich möchte hier einfach nur sagen, welche beiden Dinge für mich als Mensch mit Behinderung in meinem Leben immer besonders wichtig waren – als Motivation für Menschen mit und ohne Behinderung, das Thema als Teil des Lebens und der Welt anzunehmen und aufeinander zuzugehen:

1. Man braucht Menschen, die an einen glauben und einem das auch vermitteln. Bei mir war das z.B. mein großer Bruder.
2. Man muss sich möglichst frühzeitig intensiv mit sich selber auseinandersetzen, seine Stärken und Schwächen kennenlernen – die Stärken ausbauen wo es geht, die Schwächen akzeptieren und nicht überbewerten.

Ich weiß, das ist erstmal leicht gesagt. Und es gilt absolut nicht nur für Menschen mit Behinderung. Aber es ist so wichtig: Die positive Haltung, die man zu sich selbst hat, überträgt sich auf andere. Funktioniert aber meiner Erfahrung nach nur, wenn man ehrlich zu sich selber ist. Schwer genug.

• Vertreten Sie, eventuell durch eigene Erfahrungen ausgelöst, bestimmte Ansichten zum Umgang mit dem Thema ‚Behinderung’ in der Öffentlichkeit, zur Sozialpolitik, zur Rolle der Medizin oder des Gesundheitswesens?

Ich habe im Laufe meines Lebens gelernt, wie wichtig es ist, zu differenzieren. Immer den einzelnen Menschen zu betrachten. Pauschalurteile oder Standardlösungen funktionieren so gut wie nie. Das macht natürlich Vieles komplizierter, als es vielleicht am Anfang aussieht und es führt oft auch nicht unbedingt zu schnellen Lösungen.

Aber Inklusion funktioniert meiner Ansicht nach eben nur, wenn sie ALLEN passende Wege zu mehr Teilhabe anbietet.

• Setzen Sie sich für soziale Projekte ein, vielleicht sogar im Bereich Behindertenförderung? Haben Sie konkrete Vorstellungen, wo besonderer Handlungsbedarf besteht und worin Lösungsmöglichkeiten bestehen könnten?

Als Beauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderung bin ich natürlich an vielen Projekten und Ansätzen beteiligt, die die Situation von Menschen mit Behinderung verbessern sollen.

Besonders wichtig sind mir dabei die Bereiche Arbeit, Wohnen, Schule und politische Teilhabe. Denn hier sehe ich die bedeutendsten Weichenstellungen.

Vielleicht ein ganz konkretes Beispiel: Im Projekt „Inklusives Wohnen in Bayern stärken“ – gemeinsam mit dem Münchner Verein Wohn:Sinn e.V. – entwickeln wir in sechs Arbeitsgruppen, vor allem mit Leuten aus der Praxis, Handlungsempfehlungen für z.B. die Politik, die Wohnwirtschaft oder die Kostenträger, wie man die Bedingungen – gerade für kleinere inklusive Wohnprojekte – wirksam verbessern könnte. Ich denke, hier können wir gemeinsam wirklich was bewegen.

• Können Sie sich in die Lage Betroffener hineinversetzen? Würden Sie, wären Sie selbst betroffen, trotz der körperlichen Einschränkungen versuchen, im Rahmen des Möglichen Ihre bisherige Arbeit fortzusetzen?

Ich habe ja bereits eine Behinderung, habe mich aber durchaus schon oft gefragt, was ich wohl tun würde, wenn zusätzliche Einschränkungen bei mir dazukämen. Ich denke, ich würde in jedem Fall versuchen, einen Weg zu finden, damit ich weitermachen kann.

Auch deshalb, weil ich in meinem Leben schon viele Menschen kennengelernt habe, die sehr viel stärker eingeschränkt sind oder waren als ich. Sie haben das Beste aus ihren Möglichkeiten gemacht. Und das sollte jede und jeder immer versuchen, egal, wie aussichtslos die Lage auch erscheint.

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