Jürgen Becker, Kabarettist, hat sich freundlicherweise am 14.09.2022 zu seinen Berührungspunkten mit dem Thema Behinderung wie folgt geäußert:
Vor vielen Jahren fragte die „Aktion Sorgenkind“ an. Ein Benefizabend sollte auch Heiteres bieten, da dachten Sie an mich. Meine Managerin, selbst Rollstuhlfahrerin, riet mir ab und schrieb auch die Absage: Herr Becker wird nicht bei ihnen auftreten, schließlich sind Behinderte ja nicht automatisch „Sorgenkinder“.
Kurze Zeit später taufte sich die Aktion um. Das Sorgenkind wurde ersetzt. Die „Aktion Mensch“ brillierte dann mit einer großen Plakat-Kampagne. Offensichtlich behinderte Menschen wurden mit kunstvollen Schwarz/Weiß-Fotos in Szene gesetzt. Dazu die Losung, die bis heute im Gedächtnis bleibt: „Ich will kein Mitleid, ich will Respekt!“
„Wie findest Du das?“ fragte ich Elisabeth. Wir arbeiten seit Jahrzehnten vertrauensvoll und vergnüglich zusammen „Okay“, meinte sie knapp und kurz danach, hatten wir ein Erlebnis, welches das Motto von Aktion Mensch zu einem Running Gag zwischen uns werden liess. Ab und zu fährt Elisabeth mit auf Tour. Diesmal ging es nach Süddeutschland und wir waren in einem mehrere hundert Jahre alten Fachwerkhaus untergebracht. Die Zimmer waren ganz oben im Dachgestühl, die Treppe war unglaublich eng und steil. Im Mittelalter waren die Menschen noch kleiner und womöglich gelenkiger. Harald, auf meinen Tourneen fürs obligatorische Freibier nach der Show zuständig, ist groß und kräftig. Ich eher nicht.
Wir beide begannen Elisabeth samt Rollstuhl diese prähistorische Stiege hinauf zu zirkeln, doch Rahmen und Räder verhakten sich permanent im muffigen Gebälk. Was mögen die Holzwürmer wohl über uns Drei denken? Harald arbeitete unter dem Rollstuhl, ich versuchte oben, die festgefahrene Fuhre wieder frei zu hebeln. Wir kamen uns vor wie eine gefährliche Expedition in einer feuchten Klamm, einer Felsspalte nahe der Eiger-Nordwand. Harald fluchte. „Wie soll das gehen? Wenn ich jetzt hier loslasse, dann fliegst du 20 Meter in die Tiefe. Dann siehst du aber alt aus!“
Darauf konterte Elisabeth trocken: „Ich will kein Respekt. Ich will Mitleid!“
Wir konnten uns vor Lachen kaum halten, aber so ruckelte sich die Situation zurecht und wir Drei hatten schließlich Erfolg und den Gipfel erreicht. Humor hilft! Kurze Zeit später kam der Begriff „Barrierefrei“ in den deutschen Wortschatz.