Reiner Calmund

Reiner Calmund Porträt
Copyright: Henning Ross Fotografie

Reiner Calmund hat sich freundlicherweise am 24.04.2023 zu seinen Berührungspunkten mit dem Thema Behinderung wie folgt geäußert:

• Haben Sie bei Ihrer Arbeit oder auch im Privatleben persönlich Erfahrung mit Behinderung oder behinderten Menschen gemacht? Hat dies Ihre innere Haltung zu diesem Thema beeinflusst?

Wer während oder kurz nach dem Ende des 2. Weltkriegs aufwuchs und jetzt noch Mitten im Leben steht, für den gehören Menschen mit Behinderung leider Gottes für die Betroffenen zum Alltag. Mein Opa Johann Calmund ist und bleibt für mich unvergesslich. Bei unseren gemeinsamen sonntäglichen Spaziergängen durch unseren Wohnort Brühl-Gruhlwerk war ich als 5-6jähriger kleiner Steppke quasi gezwungen, eine Menge zu quatschen. Mein Opa verlor nach und nach sein Augenlicht und ich beschrieb ihm alle Veränderungen in seinem persönlichen Umfeld. Ich bin sicher, dass ihm sein Schicksal dadurch erleichtert wurde, weil ich auch Dinge, die er natürlich kannte, mit meinen Kinderaugen völlig anders sah und ihm dann neu erklärte. Wir gingen am Klubhaus vorbei Richtung Fußballplatz und unser Mittelpunkt war immer das Kloster und Landwirtschaftsgut Benden in Gruhlwerk, wo mein Opa früher als Verwalter gearbeitet hatte und nicht genug Informationen bekommen konnte über jede noch so kleine Veränderung. Vielleicht habe ich in dieser Zeit Basis gelegt für meine Fähigkeit, jeden in die Ecke zu quatschen.

Viele Jahre später lernte ich während der Dreharbeiten zu einer Doku die vielfache Paralympics-Siegerin Verena Bentele kennen. Wir trafen uns – begleitet von Kameras – zu einem Rundgang durch Köln. Ich war vorher sehr nervös, weil ich nicht wusste, ob ich mich gegenüber einer fast blinden Person in jeder Situation richtig verhalten würde. Aber dann traf ich eine tolle junge Frau, ausgezeichnet mit dem „Best Female Athlete“-Award und dem „Laureus World Sports Award“ für  unter anderem vier WM-Titel und 12 olympischen Medaillen zwischen 1995 und 2011 im Biathlon und Ski-Langlauf. Verena war sehr offen und diskussionsfreudig und ausgestattet mit einer enormen Vorstellungskraft.

Mitunter ist ja das Normale etwas, was einem seltsam erscheint. So erging es mir anfangs mit Verena. Ihre Lockerheit musste ich erst erlernen. Dank ihrer Unbefangenheit und der positiven Signale ging das sehr schnell. Egal, wo ich sie später getroffen habe – ob bei Sport-Events, Bällen oder Messen – waren wir sofort wieder auf einer Ebene. Diese Fähigkeit, anderen Menschen die Befangenheit zu nehmen, zeichnet Verena aus und machte sie zu einer der populärsten Sportlerinnen Deutschlands und nach der Karriere zu einer erfolgreichen Sozialpolitikerin als Vorsitzende des VdK. Was man nicht zu 100 Prozent beurteilen kann, ist, wie viele schwere Momente sie mit sich selbst hatte.

Welche besonderen Momente hatten Sie aufgrund des Übergewichts?

Eine Menge. Genau genommen habe ich damit ein Buch gefüllt, das hieß „Eine Kalorie kommt selten allein“ und landete auf der Spiegel-Bestsellerliste. Ich kam innerlich immer gut mit meinem Gewicht aus. Aber irgendwann tat es nur noch weh. Knie, Hüfte, Rücken, die Puste – meine Mobilität schwand mit jedem Tag. Ein USA-Urlaub brachte dann die Wende. Meine Frau Sylvia, meine Tochter Nicha und ich flogen von San Diego nach San Francisco, plötzlich wurde ich zum Handicap-Schalter gebeten, ein Mitarbeiter schob mir einen Rollstuhl unter den Allerwertesten und ab ging die Post. Was mir zunächst peinlich war, machte zunehmend Freude, weil es bequem war. Aber letztendlich war der Rollstuhl ja keine optimale Lösung. Jeder, der an den Rollstuhl gebunden ist, wäre froh, ihn loszuwerden. Es folgten ernsthafte Gespräche mit meiner Frau, später mit Freunden und Ärzten, bis ich irgendwann den Tipp bekam, mir den Magen verkleinern zu lassen. Das Ergebnis war ausgezeichnet, ich fühle mich mit 80 Kilo weniger, wie neu geboren und glaube, dass meine Familie das auch positiv wahrnimmt.

• Vertreten Sie, eventuell durch eigene Erfahrungen ausgelöst, bestimmte Ansichten zum Umgang mit dem Thema ‚Behinderung’ in der Öffentlichkeit, zur Sozialpolitik, zur Rolle der Medizin oder des Gesundheitswesens?

Es wäre wahrscheinlich hilfreich, wenn jeder Entscheider die Perspektive der Betroffenen kennen lernen würde. Denn nur dann kennt man auch das Gefühl, hilflos vor einem Bürgersteig zu stehen, weil man mit dem Rollstuhl nicht hochkommt. Dass es heutzutage noch öffentliche Gebäude ohne Rampen und Aufzüge gibt oder ohne Kennzeichnungen in Blindenschrift, halte ich für politisch unverantwortlich. Inklusion darf nicht nur ein Thema für Sonntagsreden sein, es muss rein in die Köpfe und Herzen der Menschen, die mehr Glück im Leben hatten. Nur so können wir friedlich und gerecht alle zusammenleben.

• Setzen Sie sich für soziale Projekte ein, vielleicht sogar im Bereich Behindertenförderung?

Ich war im April zum zweiten Male Schirmherr beim „Handicap-Tag“ in Magdeburg. Dort waren von 23 000 Besuchern des Zweitliga-Spiels des 1. FC Magdeburg gegen den SV Sandhausen 4.000 eingeladene Menschen mit Behinderung. Die Atmosphäre war großartig, es gab einen offenen und herzlichen Austausch, nullkommanull Berührungsängste. Danke an Dr. Jörg Biastoch, der als 1.FCM Präsident und Sponsor mit seinem Team ein herzliches und schönes Event auf die Beine stellte.

Grundsätzlich sind wir ALLE gefordert egal, wo…

Wer auf der Sonnenseite des Lebens steht, sollte und darf Benachteiligten nie vergessen.

Fußball-WM 2006 der Menschen mit Behinderung

Bei der Fußball-WM 2006 der Menschen mit geistiger Behinderung fungierte ich als einer der vielen Schirmherrn. Cheftrainer war Willi Breuer, ein guter Fußballer aus meiner Frechener Junioren-Mannschaft, zum Trainer-Stab gehörte auch Christoph Daum, der ein paar Jahre zuvor aus bekannten Gründen vom offiziellen Bundestrainer-Posten zurücktrat.

Bekannte Botschafter waren u.a. Gerald Asamoah, Theo Zwanziger, Rudi Völler, Claudia Kohde-Kilsch, Ulrike von der Groeben, Fritz Pleitgen, Edmund Stoiber, Manfred „Manni“ Breuckmann, Margot Käßmann, Heiko Herrlich, Jürgen Hingsen, Guildo Horn, Johannes B. Kerner, Rolf Milser, Lukas Podolski, Roy Präger und Klaus Kinkel.

Das Zusammentreffen und die vielen Gespräche mit den Spielern hatte mich sehr berührt. Ein großartiges und erfolgreiches WM-Turnier, zumal auch die Zuschauer-Resonanz sehr gut war.

Schirmherr Gerhard Schröder, der damalige Bundeskanzler, übernahm nach dem Finale die Siegerehrung des neuen Weltmeisters Saudi-Arabien und des Vizeweltmeisters Niederlande. Deutschland wurde Dritter.

• Können Sie sich in die Lage Betroffener hineinversetzen? Würden Sie, wären Sie selbst betroffen, trotz der körperlichen Einschränkungen versuchen, im Rahmen des Möglichen Ihre bisherige (künstlerische) Arbeit fortzusetzen?

Ganz klar ja – vor 7 Jahren habe ich in Asien durch eine gute medizinische Versorgung eine Lungen-Embolie überlebt und die danach folgenden Bandenscheiben-Vorfälle bekämpft. In dieser Zeit habe ich als Jurymitglied die ersten Sendungen von „Grill den Henssler“ sogar im Rollstuhl abgewickelt.

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